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Das neue Verständnis durch die „Omni-Genetik“ sagt uns, daß die Technologie für GV-Nahrungsmittel und GV-Nutzpflanzen in ihrem Konzept fehlerhaft ist – und die Genom-Editierung wird das nicht ändern, schreibt Dr. Michael Antoniou

Viele Technologien schienen anfangs aufgrund des damaligen Standes der Wissenschaft wirkungsvoll, sicher und generell eine gute Idee zu sein. In einer Anzahl von Fällen jedoch, kam später heraus, daß eine Technologie, die einmal als geeignet und wünschenswert erachtet wurde, überhaupt keine gute Idee war. Nicht nur, daß sie es nicht schaffte, ihre Versprechungen einzulösen, sondern daß sie zu Umweltschäden und negativen gesundheitlichen Auswirkungen führte. Solche Technologien endeten damit, daß sie gestoppt oder strikt eingeschränkt wurden.

Es gibt viele Beispiele hierfür in der Vergangenheit: Asbest, DDT-Insektizide, Blei im Benzin und PCBs (polychlorierte Biphenyle) in elektrischen Handelswaren – sie alle wurden einmal als große Innovationen angepriesen, aber je mehr unser Verständnis von den Mechanismen und Komplexitäten, wie die Natur funktioniert, wuchs, umso mehr fanden wir heraus, daß sie verheerende Effekte auf die Gesundheit von Menschen und Tieren haben konnten.

Wir lernen weiter aus unseren katastrophalen Fehlern, aber nur nachdem bereits ernste Schädigungen der Gesundheit und Umwelt eingetreten sind. Um solche Schäden zu vermeiden, müssen wir jede Technologie aus der Sicht [auch] derjenigen Wissenschaft beständig überprüfen, von der sie sich herleitet. Transgenetik und Genom-Editierung sind da keine Ausnahme.

Wie also ergeht es der Gentechnischen Veränderung zu landwirtschaftlichen Zwecken – einschließlich der Gen-Editierung -, wenn sie eingehend aus der Perspektive des jüngsten Verstehens auf dem Gebiet der Molekular-Genetik untersucht wird, die die Organisation und die Kontrolle von Genen studiert?

Isolierte Informations-Einheiten

Die Entwicklung von neuen Pflanzen-Varietäten mittels Transgenetik und Gen-Editierung begründet sich auf der Vorstellung, daß Gene isolierte Einheiten von Informationen sind, die entweder innerhalb ihres Wirts-Organismus manipuliert oder von einer Spezies in eine andere bewegt werden können, und zwar mit vollständig voraussagbaren Ergebnissen.

Aber dieser Standpunkt ist durch die neue Wissenschaft der Omni-Genetik komplett umgeworfen worden, die uns lehrt, daß die Versuche, komplexe Eigenschaften (wie z. B. größere Ernte-Erträge, Trockenheits-Toleranz oder Krankheits-Resistenz) auf gentechnischem Wege in Nutzpflanzen hinein zu bringen, indem man Transgenetik und Gen-Editierung anwendet, bestimmt fehlschlagen werden.

Das liegt daran, weil kein Gen und/oder dessen RNA oder Eiweiß-Produkt isoliert funktioniert. Diese molekularen Bestandteile des Lebens funktionieren als Teil eines integrierten Ganzen. Die Funktion eines bestimmten Gens oder seines Eiweiß-Produktes muß deshalb innerhalb des Zusammenhangs des gesamten Genoms sowie des ganzen Organismus betrachtet werden. Mit anderen Worten: ein Gen kann nicht nur verstanden werden, was die Informationen anbelangt, die es für ein oder mehrere Proteine oder RNA-Moleküle mit sich trägt, sondern auch in Bezug auf den Kontext, in dem es existiert und funktioniert.

Wir wissen jetzt, daß die meisten Gene mehrfache RNAs und vielfältige Protein-Produkte entstehen lassen, alle mit ihrer eigenen spezifischen Funktion innerhalb des Organismus.

Viele Funktionen werden nicht durch nur ein einzelnes Gen zustande gebracht, sondern durch viele Gene – und viele Eiweiße [gemeinsam] lassen ein Merkmal entstehen. Das ist der Grund, warum man weniger Gene als Merkmale vorfinden kann. Diese Merkmale werden nicht durch ein einzelnes Protein hervorgebracht, sondern von vielen Proteinen, die zusammen funktionieren, wobei ein jedes gegebene Eiweiß möglicherweise an vielfältigen Funktionen beteiligt ist.   

Omni-Genetik

Vor kurzem wurde entdeckt, daß die Grundlage für komplexe Eigenschaften das integrierte Funktionieren des gesamten Genoms eines Lebewesens ist. Dieses Konzept wurde „Omni-Genetik“ [latein: omnes = alle] genannt (1; 2), um die Tatsache widerzuspiegeln, daß die volle Anzahl der Gene (das „Genom“) daran beteiligt ist, komplexe Merkmale im Lebewesen hervorzubringen. Beim Menschen schließen solche komplexe Eigenschaften sowohl natürliche Eigenschaften (z. B. die Körpergröße) als auch Krankheits-Verfassungen ein (z. B. Schizophrenie, rheumatische Arthritis und Morbus-Crohn). (1)

Es ist möglich, daß an der Basis von komplexen Eigenschaften ein Reihe von „Kern“-Genen sind, aber die Omni-Genetik deckt auf, daß deren Funktion von all den anderen Genen vermehrt wird, die in einer gegebenen Zelle oder einem bestimmten Gewebe exprimiert werden. Entscheidend ist, daß Omni-Genetik darauf hinweist, daß Gene in einer Zelle als ein Netzwerk betrachtet werden sollten. (1)

Das omnigenetische Modell von komplexen Eigenschaften wurde auf Grundlage von Beobachtungen am Menschen formuliert. (1)

In Anbetracht der Ähnlichkeiten zwischen Gen-Struktur und Gen–Funktion bei Tieren und Pflanzen würde es nicht überraschen, wenn herausgefunden würde, daß komplexe Eigenschaften bei Pflanzen, wie etwa das Ertrags-Potential, Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Krankheiten, auch in der Natur omnigenetisch sind.

Wie hängt Omni-Genetik mit Pflanzen-Gentechnik zusammen?

Transgene Technologien beinhalten die Einführung einer fremden Gen-Einheit in einen neuen genetischen Kontext. Das schließt auch die Einführung eines Gens zwischen verschiedenen Varietäten der gleichen Pflanze mit ein, ein Verfahren, das als Cis-Genetik bekannt ist.

Befürworter behaupten, daß dies mit total vorhersagbarem Ergebnis bewerkstelligt werden kann. Jedoch zeigt eine in die Tiefe gehende Analyse des molekularen Profis von transgenen Pflanzen, daß transgene Verfahrensweisen unweigerlich zu einem Spektrum nicht voraussagbarer Veränderungen führen, nicht nur bei der Funktion des eingebrachten fremden Transgens, sondern auch bei den Genen der Wirts-Pflanze. Das wiederum resultiert in unbeabsichtigte Veränderungen der Pflanzen-Biochemie. (3; 4; 5; 6; 7; 8; 9)

Das ist deshalb von Bedeutung, weil solche unbeabsichtigten Veränderungen GV-Pflanzen unerwartet giftig oder allergen machen können, und vielleicht sind sie mindestens für einige der giftigen Effekte verantwortlich, die in Tier-Fütterungs-Studien mit GV-Pflanzen festgestellt wurden (10), (andere mögliche Gründe beinhalten die Effekte durch die Produkte der beabsichtigten GV-Eigenschaften, wie z. B.  durch die Bt-Toxine, und/oder die Effekte durch Pestizide, die bei der GV-Pflanze angewendet werden. (11) ).

Wie unbeabsichtigte Veränderungen in einer GV-Pflanze geschehen können

Es gibt zwei hauptsächliche Wege, auf denen unvorhersagbare und unerwartete Ergebnisse in einer GV-Pflanze entstehen können:

1. Das Transformations-Verfahren zur gentechnischen Veränderung wählt nach der Insertion des Transgens von den Events [- eine geglückte Gen-Transformation wird Event genannt-], diejenigen aus, bei denen das Transgen an Stellen im Wirts-Pflanzen-Genom eingebaut wurde, wo andere aktive Gene beheimatet sind. Das erschafft ein großes Risiko, daß die ausbalancierte Kontrolle der Wirts-Genom-Netzwerke gestört wird, was zu nicht wünschenswerten Veränderungen bei den Protein-Profilen und der Biochemie führt.

2. Wie wir gesehen haben, lehrt uns das derzeitige Verständnis von der Gen-Organisation und –Funktion, daß Gene sich [so] entwickelt haben, um als Netzwerke innerhalb des Genoms ihres angeborenen Wirts-Organismus zu funktionieren. Aber transgene Technologien sind damit verbunden, Gene aus ihrem natürlichen Kontext herauszunehmen und sie in einen neuen genomischen Kontext zu plazieren, wo das fremde Transgen zu einem Teil eines neuen Gen-Netzwerkes wird. Folglich wird die Transgenese notwendigerweise einen nicht voraussagbaren Aspekt beinhalten – der noch einmal zu nicht wünschenswerten Veränderungen bei Protein-Profilen und Biochemie führt.

Genom-Editierungen werden das landwirtschaftliche GVO-Modell nicht retten

Auf den ersten Blick würden bestimmte Anwendungen der Genom-Editierung, die die Änderungen von einem oder wenigen Wirts-Genen ohne die Einführung von fremdem genetischen Material betreffen, scheinbar einige der konzeptuellen Fehler der transgenen Technologie vermeiden. Wenn man jedoch daran denkt, daß das Gen und seine Protein-Produkte als Teil eines Netzwerkes arbeiten, verflüchtigt sich dieser angebliche Vorteil. Und zwar ist das so, weil kleine Änderungen der Aktivität von einer Komponente im Netzwerk zusätzlich zu der beabsichtigten Veränderung Hauptleitungsbahnen der Biochemie in der Pflanze auf nicht vorhersagbare Weise abändern können.

Somit können wir verstehen, daß die Behandlung von Genen als Informations-Einheiten, die entweder mittels transgener Methoden oder Genom-Editierung vorhersagbar manipuliert werden können, konzeptuell falsch ist, weil sie dem Verständnis hinterherhinkt, daß Gene und ihre Produkte als Teil sehr subtiler integrierter Netzwerke molekularer Aktivität funktionieren.  

Wünschenswerte komplexe Eigenschaften von Nutzpflanzen stellen ein Ergebnis des gesamten physiologischen Funktionierens der Pflanze dar, wobei Omni-Genetik die Grundlage hierfür ist.

Also sind die Ideen, charakteristische Eigenschaften wie den Ernte-Ertrag dadurch zu verbessern, indem man ein oder ein paar Gene verändert, zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht die erforderliche ausbalancierte gesamte systemweite Verbesserung im Funktionieren der Pflanze hervorbringen können.

Wenn man das jüngste Verständnis der System-Biologie von den molekularen Vorgängen in Betracht zieht, wird klar, daß Versuche, Pflanzen durch eine Steigerung oder dem Hinzufügen von komplexen Eigenschaften, zu verbessern, nur erfolgreich sein werden, wenn sie Herangehensweisen benutzen, die die nötigen omigenetischen Funktionen zustande bringen.

Das ist der Grund, warum die natürliche Züchtung, unterstützt durch die Selektion anhand genetischer Markierungen, die die Gen-Ordnung und ausbalancierte Kontrolle bewahrt, auffallend erfolgreich dabei gewesen ist, neue Pflanzen-Varietäten herzustellen, die bessere Ernten bringen sowie resistenter gegen Krankheiten und robuster gegenüber klimatischen Stressoren sind. (12; 13; 14; 15) Omni-Genetik erklärt auch, warum transgene Methoden versagt haben, komplexe Eigenschaften zu steigern, und warum der Gen-Editierung vorherbestimmt ist, in dieser Beziehung zukünftig zu versagen.

Quellen:

1. Boyle EA, Li YI, Pritchard JK. An expanded view of complex traits: From polygenic to omnigenic. Cell. 2017;169(7):1177-1186. doi:10.1016/j.cell.2017.05.038

2. Greenwood V. ‘Omnigenic’ model suggests that all genes affect every complex trait. Quanta Mag. June 2018. https://www.quantamagazine.org/omnigenic-model-suggests-that-all-genes-affect-every-complex-trait-20180620/.

3. Agapito-Tenfen SZ, Guerra MP, Wikmark O-G, Nodari RO. Comparative proteomic analysis of genetically modified maize grown under different agroecosystems conditions in Brazil. Proteome Sci. 2013;11(1):46. doi:10.1186/1477-5956-11-46

4. Zolla L, Rinalducci S, Antonioli P, Righetti PG. Proteomics as a complementary tool for identifying unintended side effects occurring in transgenic maize seeds as a result of genetic modifications. J Proteome Res. 2008;7:1850-1861. doi:10.1021/pr0705082

5. Barbosa HS, Arruda SCC, Azevedo RA, Arruda MAZ. New insights on proteomics of transgenic soybean seeds: evaluation of differential expressions of enzymes and proteins. Anal Bioanal Chem. 2012;402(1):299-314. doi:10.1007/s00216-011-5409-1

6. Arruda SCC, Barbosa HS, Azevedo RA, Arruda MAZ. Comparative studies focusing on transgenic through cp4EPSPS gene and non-transgenic soybean plants: an analysis of protein species and enzymes. J Proteomics. 2013;93:107-116. doi:10.1016/j.jprot.2013.05.039

7. Lehesranta SJ, Davies HV, Shepherd LVT, et al. Comparison of tuber proteomes of potato varieties, landraces, and genetically modified lines. Plant Physiol. 2005;138(3):1690-1699. doi:10.1104/pp.105.060152

8. Gong CY, Li Q, Yu HT, Wang Z, Wang T. Proteomics insight into the biological safety of transgenic modification of rice as compared with conventional genetic breeding and spontaneous genotypic variation. J Proteome Res. 2012;11(5):3019-3029. doi:10.1021/pr300148w

9. Mesnage R, Agapito-Tenfen SZ, Vilperte V, et al. An integrated multi-omics analysis of the NK603 Roundup-tolerant GM maize reveals metabolism disturbances caused by the transformation process. Sci Rep. 2016;6:37855. doi:10.1038/srep37855

10. Krimsky S. An illusory consensus behind GMO health assessment. Sci Technol Hum Values. August 2015:0162243915598381. doi:10.1177/0162243915598381

11. Robinson C, Antoniou M, Fagan J. GMO Myths and Truths (4th Edition): A Citizen’s Guide to the Evidence on the Safety and Efficacy of Genetically Modified Crops and Foods, 4th Edition. Chelsea Green; 2018. https://www.amazon.com/GMO-Myths-Truths-Citizens-Genetically/dp/0993436722/ref=dp_ob_title_bk.

12. Gilbert N. Cross-bred crops get fit faster. Nat News. 2014;513(7518):292. doi:10.1038/513292a

13. Xu K, Xu X, Fukao T, et al. Sub1A is an ethylene-response-factor-like gene that confers submergence tolerance to rice. Nature. 2006;442:705-708. doi:10.1038/nature04920

14. Francia E, Tacconi G, Crosatti C, et al. Marker assisted selection in crop plants. Plant Cell Tissue Organ Cult. 2005;82(3):317-342. doi:10.1007/s11240-005-2387-z

15. GMWatch. Non-GM successes. gmwatch.org. http://www.gmwatch.org/index.php/articles/non-gm-successes. Published 2018.

Teil 1 dieser zweiteiligen Artikel-Serie gibt es hier: https://www.gmwatch.org/en/news/latest-news/18582


-------  Ende des Artikels  --

Übersetzung mit eigenen Anmerkungen [in Eck-Klammern] durch:
GenAG/attac-bielefeld (November 2018)

Titel: Bound to fail: The flawed scientific foundations of agricultural genetic engineering (part 2)
Autor: Dr. Michael Antoniou
Datum: 21 November 2018
URL: https://gmwatch.org/en/news/latest-news/18593