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Der britische Nachrichtendienst GMWatch enthüllte kürzlich die Übernahme von Conabia, dem National Advisory Committee on Agricultural Biotechnology of Argentina, durch das Agrar-Business. [1], [2] Laut GMWatch sind 26 der 34 Mitglieder dieses Staatlichen Beratungs-Ausschusses zur Agrar-Gentechnik, [der die GVO-Zulassungsbehörde Argentiniens ist], entweder Angestellte eines Agrar-Unternehmens oder weisen größere Interessens-Konflikte auf.* Wenn man mit Interessens-Konflikte belastete Personen in eine Regulierungs-Behörde packt, ist das eine Möglichkeit, um schnelle GVO-Zulassungen sicher zu stellen, und sicherlich hat Conabia dies geleistet. Eine subtilere, aber letztendlich mächtigere Möglichkeit besteht darin, die Zulassung [nahezu unumgänglich] in die Struktur des GVO-Bewertungs-Verfahrens selber hinein zu packen. Das geht leichter, als Sie vielleicht meinen.

Letztens wohnte ich der jüngsten Internationalen Konferenz der GVO-Regulierer, der ISBGMO14, bei, die in Guadalajara, Mexico, vom 4. – 8- Juni 2017 stattfand. ISBGMO  wird von der International Society for Biosafety Research (ISBR) veranstaltet. Als ich im Jahr 2007 zum ersten Mal zu dieser zweijährig stattfindenden Konferenz-Reihe ging, stammte dort in den ganzen 4 Tagen nur eine Präsentation von einem Unternehmen. ISBR war um einige wissenschaftliche Unabhängigkeit von den Agrar-Unternehmen bemüht.

Das zweite Mal ging ich 2012 zur ISBGMO, als sie in Buenos Aires, Argentinien stattfand. Dort waren Forscher und Geschäftsführer von Firmen häufige Redner, und die Konferenz war zu einer Gelegenheit für das Agrar-Business geworden, Gesprächsthemen und Regulierungs-Initiativen auf eine Art vorzustellen, als ob es den Segen der Wissenschaft hätte. Jetzt in diesem Jahr in Guadalajara gehörten Unternehmen mit zu dem Organisations-Komitee der Konferenz, und sie vergaben sogar Reise-Stipendien vom Podium aus. Ein ehemaliges Mitglied des Organisations-Komitees und Vorstands-Mitglied der ISBR erzählte mir, daß die vorhergehende ISBGMO-Konferenz (in St. Louis. USA, 2015) beinahe vollständig von Monsanto bezahlt worden sei.

Die Verbreitung der Botschaft der Industrie

In Guadalajara gingen die Industrie-Sprecher eindeutig nach einer festgelegten Liste vor. Diese Liste übersetzt hauptsächlich die Ziele der Gentechnik-Industrie für die Regulierung. Auf dieser Liste sprang die „Daten-Transportierbarkeit“ hervor. Daten-Transportierbarkeit [oder: -Übertragbarkeit] entspringt der Idee, daß Regulierer aus verschiedenen Gerichtsbarkeiten, sagen wir Indien oder der EU, identische Anträge zur Bio-Sicherheit akzeptieren sollten. Eine Implementierung von Daten-Transportierbarkeit würde bedeuten, daß obwohl jedes Land einzigartige Öko-Systeme und biologische Arten besitzt, die GVO-Antragsteller keine Studien vorzulegen hätten, die auf jedes einzelne Land zugeschnitten sind. Wenn es zum Beispiel um die Bewertung von Auswirkungen einer GV-Pflanze, die ein Insektizid produziert, auf Nicht-Ziel-Lebewesen geht, sollen die Regulierungs-Behörden in Australien Tests an Europäischen Marienkäfer-Arten oder Regenwürmern so akzeptieren, als würden sie beweisen, daß die GV-Pflanze in Australien sicher [d.h. ohne Schäden zu verursachen] angebaut werden kann.   

Die Anziehungskraft, die für einen Antragsteller von der Daten-Transportierbarkeit ausgeht, ist klar genug – weniger Kosten und weniger Risiko, daß ihre GV-Pflanze an einer Risiko-Bewertung scheitert. Ich hörte nicht ein einziges Mal eine Bemerkung über eine offensichtliche Kehrseite der Daten-Transportierbarkeit. Je weniger Untersuchungen ein neuer GVO ausgesetzt wird, umso weniger Forschung gibt es, um ein bedeutendes Problem, falls eins existiert, zu entdecken.

Eine zweite Standard-Richtlinie der Konzerne bestand in der Gegenüberstellung „was man zu wissen braucht versus nett zu wissen“. Anders gesagt: bitten Sie die Antragsteller nicht um mehr Daten, als sie zu liefern wünschen. Die Kehrseiten hiervon sind identisch mit denen der Daten-Transportierbarkeit. Weniger Daten bedeuten weniger Untersuchung und weniger Wissenschaft.

Modernisierung der Risiko-Bewertung?

Ein weiteres großes Thema der Zusammenkunft war die ‚Modernisierung’ der Regulierung. Bei diesem Vorhaben wurde Kanada als die „fortschrittlichste“ Nation vorgestellt. Kanada hat sich etwas zu Eigen gemacht, das es eine „auf der Eigenschaft beruhende GVO-Regulierung“ nennt.

Bei der auf die Eigenschaft beruhenden Regulierung wird die Entwicklungs-Methode (das heißt, ob die Pflanze gentechnisch verändert worden ist oder nicht) als irrelevant betrachtet.  Einzig die [neue] Eigenschaft [einer Pflanze] steht im Blickpunkt.
Wenn eine GV-Pflanze ein Insektizid enthält, wird sie auf Risiken gegen Nicht-Ziel-Lebewesen beurteilt. Falls eine GV-Pflanze dann den Geschmack oder den Nährwert verbessert, dann bekommt die GV-Pflanze das, was auf einen Freifahrtschein hinausläuft, weil vermutlich kein Risiko von Geschmäckern oder Nährstoffen ausgeht.  

Die Kanadische Herangehensweise kling harmlos, aber sie zeichnet die entscheidende Eigenschaft aus, daß sie die Kontrolle über die Risiko-Bewertung in die Hände des Antragstellers legt, weil unter einem solchen System alles davon abhängt, was der Antragsteller auswählt, um es seine [neue] Eigenschaft zu nennen. Stellen Sie sich vor, Sie würden gebeten werden, die Sicherheit eines Flugzeuges zu überprüfen, aber der Hersteller würden Ihnen nicht sagen wollen, ob es ein Propeller-getriebenes oder ein Jet ist; oder ähnlich, ob es ein U-Boot ist, das mit Diesel oder Atom-Kraft betrieben wird.  

Deshalb verlagert der Kanadische Ansatz, in dem er nur danach fragt, was die Pflanze vermutlich macht, die meisten der Standard-Überlegungen zu Risiken und Gefahren effektiv außerhalb der Regulierung. Es gab einmal eine Zeit, in der man von der Risiko-Beurteilung voraussetzte, daß sie sich mit dem befasst, was man von einem Produkt nicht vermutet, daß es das täte. Für ihren Vorschlag der Nicht-Regulierung anstelle einer Regulierung erhielten die Kanadischen Beamten für Bio-Sicherheit auf der ISBGMO14 mehr Gelegenheiten zum Sprechen als jeder andere Staatliche Regulierer.

[Her-] Abgestufte Risiko-Bewertung

Eine gleichermaßen unwissenschaftliche Neuerung, die weithin akzeptiert zu werden scheint, wird gestaffelte [oder (her-)abgestufte] Risiko-Bewertung genannt. Stellen Sie sich vor, daß ein Unternehmen den Regulierungs-Behörden eine Insekten-resistente GV-Pflanze vorlegt. Dann stellt sich ja eine offensichtliche Frage, weil diese Pflanze eine für Insekten giftige Substanz, ein Insektizid, herstellt: Wie soll eine Regulierungs-Behörde wissen, ob das betreffende Gift vielleicht auch nützliche Lebewesen wie die Bienen tötet, die sich von den Blüten dieser GV-Pflanze ernähren?

Mithilfe der abgestuften Risiko-Einschätzung wird diese Frage dadurch beantwortet, indem man das gereinigte Insektizid der GV-Pflanze [nur] an eine Bienen-Art verfüttert. Es werden keine weiteren Tests verlangt. Falls die Bienen zu Schaden kommen, wird daraufhin eine umfangreichere Untersuchung durchgeführt, die angeblich realistischer sein soll. Falls dabei keine Schädigung beobachtet wird, nimmt man an, daß die GV-Pflanze sicher ist, und es werden keine weiteren Tests gefordert. Falls sich Schädigungen zeigen, dann wird eine Untersuchung im Freiland oder ein größerer Test durchgeführt.

Monsanto präsentierte eine lange Darstellung…für die ‚Gründlichkeit’ [oder: Vernünftigkeit] und die ‚Logik’ dieser [her-]abgestuften Vorgehensweise. Über die abgestufte Risiko-Beurteilung wurde wissenschaftlich nur wenig debattiert (trotz siehe Lang et al., 2007), aber die Auswirkungen dieses gestaffelten Ansatzes sind tiefgründig. Er stellt [nämlich] ein asymmetrisches System dar, bei dem das Bestehen von irgendeiner Prüfung zur [Markt-] Zulassung führt, während bei einem Durchfallen oder Nicht-Bestehen einer Untersuchung, dieses Ergebnis nicht zu einer Ablehnung einer Genehmigung führt.

Bedenken Sie [hierzu] den Vergleich mit Pharmazeutika. Gegenwärtig müssen alle Arzneimittel drei Phasen von klinischen Tests durchlaufen, erst an Tieren, dann Versuche an wenigen Menschen und daraufhin Versuche an vielen Menschen. Sollte auf einer dieser Stufen die getestete Substanz scheitern, dann wird dies als endgültiges Aus betrachtet. Ohne daß wir dies der FDA nahe legen wollten, nehmen Sie einmal an, die FDA würde dieses 3-Phasen-System durch ein anderes ersetzen, bei dem das Bestehen der Phase 1 (also der Tier-Versuche) dem Entwickler der Arznei direkt erlauben würde, sein Produkt zu vermarkten. Da gäbe es wohl, aus gutem Grund, einen Aufruhr, gefolgt von einer Lawine an gefährlichen medikamentösen Behandlungen auf dem Markt. Aber das liegt genau in der Logik der abgestuften Untersuchung von GVOs.

Dieses gestaffelte Testen ist daher ein System, in dem das Versagen oder Nicht-Bestehen einer Untersuchung eine nicht zu akzeptierende Antwort bedeutet. In dem wissenschaftlichen Papier, das zum ersten Mal die abgestufte Risiko-Bewertung vorschlug, war in der Grafik für den vorgeschlagenen Entscheidungs-Baum kein Abzweig für eine eventuelle Ablehnung der GV-Pflanze (siehe Figure 1 in Romeis et al., 2008) vorgesehen. Genehmigungen sind garantiert. Das Agrar-Business weiß das ganz genau, weil viele der wichtigsten Autoren der Studie Romeis et al. aus den großen Saatgut- und Gentechnik-Konzernen kommen.

Die so genannten logischen Neuerungen, die auf der ISBGMO14 präsentiert wurden, so wie die Transportierbarkeit, die auf der [vermuteten neuen] Eigenschaft beruhende Regulierung sowie die abgestufte Risiko-Bewertung, sind also als Bypässe für die Regulierung gewollt. Sie machen es einer Regulierungs-Behörde nahezu unmöglich, einen Genehmigungs-Antrag für einen GVO abzulehnen oder selbst ausreichende Informationen über den GVO einzuholen. Kein Wunder, daß die Gentechnik-Industrie gerne von Zulassungs-Systemen spricht, wenn sie sich [eigentlich] auf die Verfahren zur Risiko-Bewertung bezieht.

Angesichts dessen, daß es keinen Widerspruch gegen diese Ansätze auf der ISBGMO14 gab,  sollte sich die Gentechnik-Industrie selbstsicher sein, die Regulierung der Gentechnologie [bereits] weitgehend in ihrer Hand zu haben, aber sie will noch mehr.

In den kommenden Jahren wird eine Zunahme in der GVO-Entwicklungs-Pipeline erwartet, weil neue Anwendungen und neue Ansätze möglich werden. Es wird vorausgesagt, daß diese Pipeline GV-Algen, Tier-Gentechnologie, Gene-Drives und so weiter enthält. Die Industrie ist sich bewußt, daß viele dieser Möglichkeiten kontrovers sein werden. Ein befriedetes Regulierungs-Umfeld stellt für sie eine Notwendigkeit dar, bevor diese Möglichkeiten geschehen können.
 
Das ist mehr als beschämend. Zu einer Zeit wo eine umfassende Abschätzung der Schwächen und inhärenten Beschränkungen der wissenschaftlichen Risiko-Bewertung dringend erforderlich ist, um diesen Herausforderungen gewachsen zu sein, drängen die Chemie- und Gentechnik-Industrien diese Bewertungs-Systeme in die entgegengesetzte Richtung.  

Quellen:

Romeis, Jörg; Bartsch, Detlef; Bigler, Franz; Candolfi, Marco P; Gielkens, Marco M C; et al. (2008) Assessment of risk of insect-resistant transgenic crops to nontarget arthropods. Nature Biotechnology 26: 203-8.

Andreas Lang, Éva Lauber & Béla Darvas (2007) Early-tier tests insufficient for GMO risk assessment. Nature Biotechnology 25: 35–36 doi:10.1038/nbt0107-35

* Korrektur. Eine frühere Version dieses Artikels wurde der Spanischen nicht-Profit-orientierten Gruppe Grain zugeschrieben. Grain druckte die Recherche jedoch nur nach.

-----------Ende des Artikels

Anmerkungen der GenAG zu dem obigen Artikel:

[1] Zu Conabia - Zulassungs-Behörde für GVO in Argentinien:
 
Weshalb hat und behält der Gentechnik-Anbau in Argentinien bisher die Überhand in Argentinien?
Weil die Behörde in Argentinien, die GVO zuläßt, mit Angestellten aus den die GVO herstellenden Unternehmen der Agrar-Industrie und mit Wissenschaftlern voller Interessens-Konflikte besetzt ist.

Die GVO in Argentinien werden von den Leuten derselben Unternehmen zugelassen, die die GVO produzieren und vermarkten, das enthüllt eine neue Nachforschung des Journalisten Dario Aranda.

Diese Behörde, in der diese Leute versammelt sind, heißt National Advisory Committee on Agricultural Biotechnology (Conabia). Laut Aranda setzt sie sich zusammen aus Vertretern von Monsanto, Bayer, Syngenta, Indear/Bioceres, Pioneer/DuPont, Don Mario, ASA (Seed Companies‘ Association), Aaresid (Assoviation of No-Till Producers - das sind Bauern, die GVO anbauen und Herbizide anwenden, um Unkräuter zu kontrollieren), Argenbio und INTA (National Institute of Agricutural Technology). Von den 34 Mitgliedern, gehören 26 zu denselben Firmen, die Saatgut herstellen, oder sind Wissenschaftler mit Interessenskonflikte.

Es besteht kein Zweifel, daß diese Unternehmen am liebsten weltweit soviel freie Hand haben wollen wie in Argentinien.

weitere Details (auf Englisch):
http://www.gmwatch.org/en/news/latest-news/17671-transgenic-corruption

[2] Zur Situation der Bevölkerung in Argentinien:

Argentinische Zivil-Gruppen fordern ein Ernährungs-Nothilfe-Gesetz zur Bekämpfung von Armut und Unterernährung

In Argentinien, dem zweit größten Hersteller von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) nehmen jetzt Hunger und Armut überhand. Seit der Einführung von GVO in Argentinien haben dort Hunger und Unterernährung Einzug gehalten, wo für gewöhnlich 10 x mal so viel Nahrungsmittel hergestellt wurden, als die eigene Bevölkerung selber brauchte.

Nun fordern soziale Organisationen den argentinischen Kongress auf, ein Nothilfe-Nahrungs- Gesetz zu erlassen sowie ökonomische Reformen zu stoppen, die große Teile der Bevölkerung in die Armut treiben. In diesem Land, das die drittgrößte Wirtschaft in Lateinamerika darstellt, leben bereits 11 Millionen Bürger in Armut.

So weit zu der Behauptung, daß die Gentechnik in der Landwirtschaft die Welt ernähren würde. Sie läßt die Menschen verhungern, die in den Ländern leben, wo dieses landwirtschaftliche Modell dominiert.

weitere Details siehe bitte (auf Englisch):
http://gmwatch.org/en/news/latest-news/17983

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Daten zum Original-Artikel:

Titel: The Biotech Industry Is Taking Over the Regulation of GMOs from the Inside
Autor: Jonathan Latham, PhD
Datum: 19. Juli 2017
URL: https://www.independentsciencenews.org/environment/the-biotech-industry-is-taking-over-the-regulation-of-gmos/

Übersetzungen mit eigenen Anmerkungen  in [Eck-Klammern],
wobei [1] und [2] aus GMWatch-Artikeln zur Situation in Argentinien zitieren,

durch die GenAG/attac-bielefeld (März 2019)